Zur Aussortierung von vier Weltklassespielern durch den Bundestrainer
Das praktische Problem von Ideologien besteht darin, dass logische Argumente durch ideologische ersetzt werden. Das theoretische Problem von Ideologien besteht darin, dass sie ein logisch unbegründetes Dogma als verbindliche Wahrheit ausgeben. Die neue Ideologie von Jogi Löw & Co. heißt „radikaler Neubeginn mit jungen Spielern“: Das ist ein logisch unbegründetes Dogma, denn aus dem Scheitern in der Vorrunde der Weltmeisterschaft ergibt sich dieses Postulat nicht. Das ganze Team hat damals sein Ziel nicht erreicht. Nicht die wundersame Wandlung einzelner Spieler von Weltklasse zu Mittelmaß hatte dazu geführt, die sich tragischerweise ausgerechnet in jenen Wochen ereignet und von dort an wie ein verborgener Virus ihre Leistung beeinträchtigt hätte. Boateng, Müller, Hummels und Khedira sind so gut wie zuvor; gelegentliche Formschwankungen, zum Beispiel als Folge von Verletzungspausen, sind normal, man macht nicht immer sein bestes Spiel und manchmal reihen sich auch ein paar Spiele dieser Art aneinander. Die Niederlagen bei der Weltmeisterschaft entstanden aus einer Mischung mehrerer Faktoren. Natürlich hatte man das zu analysieren und natürlich haben die vier Aussortierten ihren Teil der Verantwortung für das Scheitern zu schultern. Ebenso natürlich und vernünftig ist es, aus den Fehlern zu lernen und strategische Veränderungen vorzunehmen, selbstverständlich auch mit anderen Spielern. Logischerweise ist im Leistungs-Mannschaftssport die aktuelle Leistung Hauptkriterium für Aufstellungen, gefolgt von strategischen Überlegungen. Die vier haben kein Sonderrecht darauf, im Kader zu sein. So weit, so logisch.
Aber nun sieht sich der Nationalmannschaftstrainer dazu veranlasst, unangemeldet beim FC Bayern aufzukreuzen und aus heiterem Himmel heraus wie zuvor schon Khedira nun auch Hummels, Boateng und Müller zu eröffnen, dass sie fortan nicht mehr zur Nationalmannschaft gehören. Das ist nicht nur ein menschlich fragwürdiges Verhalten, sondern da hört auch die Logik auf, denn es lässt sich weder mit der Leistung noch mit der Strategie noch sonst wie rational begründen, wie etwa mit der „fehlenden Chemie“ im Team oder einem Benehmen, das dem Teamspirit schadet. Im Gegenteil: Die drei waren nicht nur Leistungsträger, sondern auch vorbildliche Verantwortungsträger in der Mannschaft. Auch das Argument „Alter“ greift nicht, denn Müller, Boateng und Hummels wie auch Khedira sind nicht alt, wohl aber überaus erfahren. Sich des ideologischen Dogmas wegen selbst der Option zu berauben, für wichtige Spiele diese Koryphäen des Profifussballs an Bord zu haben, ist völlig unnötig und schlicht unprofessionell.
Vielleicht scheiden sich durch diese Scheidung jetzt die Geister in der Fußball-Fachwelt; es wäre wünschenswert. Die diesen „konsequenten“ Schritt des Bundestrainers jetzt beklatschen, wird man im Großen und Ganzen wohl der Gruppe von Experten zuordnen können, die schon seit jeher mit erstaunlich selbstgewissem Auftritt erstaunlich negative Urteile im Schwarzweißmodus über Fußballprofis zu fällen pflegen, nur weil sie gerade einmal nicht die gewünschte Höchstleistung zeigten, Fehler machten, den Ball nicht im Tor unterbrachten, müde waren und manchmal auch nicht so ganz hundertprozentig motiviert. Es ist zu fürchten, dass Löw & Co. es dieser Sorte von Experten mit der medienwirksamen Entscheidung, sich der bewährten Weltklassespieler zu entledigen, recht machen wollen.
Hummels, Boateng und Müller waren nicht nur Leistungs- und Verantwortungsträger der Nationalmannschaft, sondern auch Sympathieträger. Entscheidung und Verhalten des Bundestrainers mit der Rückendeckung des DFB-Vorstands sind darum nicht nur ein Affront gegen die Spieler selbst, die wahrlich einen anderen Abgang verdienen würden, sondern auch gegen die Fans des Nationalteams, zu denen auch ich mich zähle. Ich mache gerade eine interessante neue Erfahrung: Zum ersten mal seit über 50 Jahren habe ich keine Lust mehr, die nächsten Spiele dieser ideologisch bereinigten Mannschaft zu sehen. Mit diesem Team identifiziere ich mich nicht mehr.
Ausgehend vom Status quo wird es allmählich Zeit, Löw selber auszuwechseln. Eigentlich ist dieses unprofessionelle Verhalten schon Grund genug dazu. Man wird sehen, wie Löw & Co. damit umgehen. Die Polarisierung, durch die sich nun vielleicht die Geister scheiden werden, ist kaum noch rückgängig zu machen: Sie haben sich ganz unnötig Feinde gemacht dadurch. Sie haben ihrer Ideologie vom „radikalen Neubeginn mit jungen Spielern“ leichtfertig die Sympathie vieler geopfert, die auch nach dem misslungenen Weltmeisterschaftsauftritt zu ihnen standen. Retten kann Löw nun nur noch die überragende Leistung eines Teams, das keinen anderen Vorteil dem bisherigen gegenüber hat, als neu und noch jünger als bisher zu sein. Das hat er sich und uns nun eingebrockt.