Die vernünftige Ausrichtung auf die Zukunft können wir nur gewinnen, wenn wir aus der Vergangenheit lernen. Das beinhaltet, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, aber es beinhalt genauso auch, die Weisheit der Vergangenheit kennenzulernen. Weisheit ist überdauerndes sinnvolles Wissen, das Orientierung gibt.
Als es gestern in Terra X, der populärwissenschaftlichen Sendung des ZDF, auf die ich mich eigentlich jeden Sonntag abend immer schon freue, um das Thema „Gehirn“ ging, führte die sehr betont jugendlich und modern auftretende Moderatorin, selbst Wissenschaftlerin, Gelehrte vergangener Zeiten vor: Platon, Aristoteles, Descartes und La Mettrie, indem sie diese als Zeitreisende live erscheinen ließ. Sie beamte sich zurück zu ihnen und redete mit ihnen. Es sollte lustig wirken, aber die implizite Botschaft lautete: Ihr wusstet ein bisschen was, aber es war ziemlich armselig; ich weiß sehr viel mehr als ihr. Allesamt wurden sie als versponnene, mehr oder weniger senile Opas dargestellt, mit sehr begrenztem Horizont, als unbeholfen tatterige Clownfiguren, die nicht den Eindruck machten, in der Welt zurechtzukommen, im krassen Gegensatz zur Selbstdarstellung der Moderatorin.
Wissenschaftler lernen viel aus den Fehlern der Vergangenheit, nämlich immer dort, wo sich alte Theorien nicht bestätigt haben. Aber sie tun sich schwer damit, aus dem Fehler zu lernen, das Wissen vergangener Zeiten seiner Begrenzung wegen zu verachten, nur weil es den gegenwärtig Forschenden in mancher Hinsicht geschenkt ist, es zu erweitern und alte Fehler zu korrigieren. Mit der Verachtung dieses Wissens versäumen sie es zugleich, aus den Weisheitsbrunnen der Vergangenheit zu schöpfen. Sie meinen, es nicht nötig zu haben, weil sie sich einbilden, ach so viel gelehrter zu sein als die Alten.
Analog finden wir dieses Phänomen auch in der Kunst, aber dort ist leichter ersichtlich, mit welchem Preis die Ignoranz der Alten bezahlt wird, weil ihr dann nicht nur die sachliche Tiefe und Kraft fehlt, sondern auch die emotionale. Die Kunstfertigkeit mag so hoch sein wie bei modernen Wissenschaftlerinnen, die Künstler mögen ihre Instrumente bestens beherrschen, aber was sie damit hervorbringen, bleibt an der Oberfläche und bringt je länger je mehr nichts wirklich bewegend Neues mehr. Es wird langweilig und die Langeweile wird durch die scheinbare Großartigkeit des Performancetheaters kompensiert.
Die Kulturgeschichte braucht von Zeit zu Zeit jugendliche Erneuerungen, die dem Konservatismus die Stirn bieten, indem sich ihre Protagonisten gar nichts mehr von den Gestrigen sagen lassen. Das sind notwendige dialektische Reaktionen auf die Arroganz der Alten. Aber die Dynamik jedes Umbruchs dieser Art dünnt sich aus und gerinnt zu starren idologischen Positionen, wenn ihm nicht bald eine ernsthafte Rückbesinnung auf das Wissen und Können der Alten folgt, das dem Weitergehen nach dem Umbruch Orientierung gibt.