Zum Glück sagte mir Petra erst hinterher, sie sei für Dortmund gewesen, und zum Glück enthielt sie sich als eigentlich Uninteressierte und Unengagierte der Kommentare. Dass sie mit Dortmund sympathisierte, kann ich ihr mittlerweile auch gut verzeihen, denn ich habe verstanden, dass es vor allem an der gelbschwarzen Kleidung lag, die ihr mehr zusagte als das Rot der Bayern. Sie wollte nur zwischendrin mal ein bisschen Smalltalk versuchen, indem sie mich während einer dramatischen Torraumszene fragte, welcher Bayernspieler mir am besten gefalle, aber sie ließ gleich davon ab, denn ihr kam es vor, als hätte ich mich für einen Augenblick in einen Löwen vor dem Sprung auf seine Beute verwandelt. Ich bin ihr dankbar, dass sie damit sehr gut umging, indem sie schon mal ins Bett ging. Zwischen Bad und Schlafzimmer blickte sie noch einmal zu mir herüber, um mir eine gute Nacht zu wünschen. Sie erschrak ein wenig, denn sie sah mich in seltsamer Starre auf dem Sofa stehen und ich nahm sie offenbar nicht wahr. „Robben! Robben! Robben!“ hatte der Fernsehkommentator soeben ekstatisch gerufen. Wie sie mir später mitteilte, überlegte sie für einen Moment, ob es sich um einen militanten Tierschützer oder um einen Unteroffizier in der militärischen Grundausbildung handelte. Auf jeden Fall sei das alles ziemlich verwirrend für sie gewesen. Was nach dem Schlusspfiff geschah, weiß ich nur aus ihrer Schilderung, ich selbst erinnere mich mich an nichts. Ich sei wie ein Wirbelsturm durchs Wohnzimmer getobt und habe dabei Laute ausgestoßen, die sie an Wölfe bei Mondschein und Indianer bei Kriegsbeginn erinnert hätten. Es war ihr peinlich, der Nachbarn wegen. Aber sie hatte auch Verständnis, weil sie sich erinnerte, dass ich mich in der Vergangenheit immer wieder ähnlich daneben benommen hatte, wenn ein Tor für meine Lieblingsmannschaft gefallen war. „Du hast so toben müssen, weil die Roten ein Tor geschossen hatten“, sagte sie empathisch am nächsten Morgen, als wir alles aufarbeiteten. „Und als du ganz starr auf dem Sofa gestanden bist, da hatten gerade die Gelben eins geschossen“, meinte sie zu verstehen. „Nein“, musste ich korrigieren, „ich stand starr auf dem Sofa, als die Roten eins geschossen hatten.“ „Aha“, erwiderte sie bedächtig. „Und was war, als du tobtest?“ Ich musste zugeben, dass ich tobte, als das Spiel zuende war. „Du hast also getobt, als gar nichts mehr passierte? Als sie gar nicht mehr spielten?“ Unser folgendes Klärungsgespräch war lang und schwierig, aber wir hatten ja genügend Zeit, weil Sonntag war.
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