Armer Reicher

Geld regiert die Welt. Es scheint bis heute nur in Ansätzen gelungen zu sein, stabile Demokratien zu schaffen. Stabile Demokratien benötigen eine verantwortungsbewusste Bürgerschaft. Das ist erstens unbequem und zweitens muss es nicht nur gefordert, sondern auch gefördert werden. Es ist abhängig von Erziehung und Bildung. Erzogen und gebildet wird immer, die Frage ist nur, auf welche Weise und auf welche Ziele hin. Wenn die vorrangigen Bildungsziele nicht Freiheit und Verantwortung sind, wird nichts aus Freiheit und Verantwortung. Und dann bleiben die Demokratien schwach. Wenn sie aber schwach bleiben, verlieren sie ihre Macht. Wenn sie aber ihre Macht verlieren, beugen sie sich anderen Herrschaftsformen. In unserer Zeit sind das vor allem die Tyrannei und die Oligarchie und der gefährlichste Kontrahent der Demokratie ist die Verbindung von beiden: die tyrannische Oligarchie.  Die demokratischen Herrschaftsformen hofieren sie, denn dort wie hier regiert das Geld. Die wirtschaftlichen Interessen überlagern allemal das politische Engagement für Freiheit und Verantwortung. Man muss es unseren Politikern nicht vorhalten, dass sie vor den Despoten kuschen. Sie sind gebunden. Sie müssen diplomatisch sein, in der Tat. „Diplomatisch“ ist nahezu ein Synonym für „unehrlich“. Es liegt nicht so sehr an den Politikern. Es liegt daran, dass unsere Demokratien nicht stabil sind.

Not macht manchmal ehrlich. Uli Hoeness hat sich geoutet. Er hat sich dazu bekannt, geldsüchtig zu sein. Davor habe ich Respekt. Es ist wirklich förderlich für eine Demokratie, wenn die tatsächlichen Schwächen hinter der Fassade erlogener Stärke zum Vorschein kommen.  Allein durch diese Ehrlichkeit kann Hoeness, der Gefallene und Bloßgestellte, zum Vorbild werden.

Börsenspekulationen scheinen das globale Wirtschaftssystem ungemein stark zu beeinflussen. Sehr wahrscheinlich sitzen in vielen Spitzen- und Schlüsselpositionen der Finanzwelt geldsüchtige Menschen. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Bankenkrisen der vergangenen Jahre mit ihren enormen Auswirkungen auf die globale Wirtschaft maßgeblich durch das Suchtverhalten von Personen entstand, die sich unglaublicher Summen für ihre riskante Spielleidenschaft bedienen konnten. Menschen wie Uli Hoeness. Hin und wieder kam etwas davon an die Öffentlichkeit.

Die Sucht des Börsenjunkies besitzt keine andere Qualität als die des Heroinjunkies. Aber in einer oligarchisch überlagerten Demokratie wie der unseren wird sie völlig gegensätzlich bewertet. Der Börsenjunkie ist ein Held, denn er gehört ohnehin schon zu den Reichen, deren Gemeinschaft man so gern teilen wollte und unbedingt auch sollte, wie die Medien beständig suggerieren. Und vor allem: Er schafft es, mit wenig Arbeit außerordentlich großen Ertrag zu machen. Somit verkörpert er das Ideal des großen kapitalistischen Gewinnspiels: Wer am wenigsten arbeitet und dabei am meisten verdient, hat gewonnen. Wer wollte nicht gern der große Sieger sein?

Süchtig wird ein Mensch, wenn seelische Grundbedürfnisse unerfüllt bleiben. Suchtverhalten ist Ersatzbefriedigung. Was kompensieren die Geldsüchtigen? Was verändern sie, wenn sie ehrlich geworden sind?

Geldsucht ist eine Sucht wie jede andere, und wer von ihr gefangen ist, sollte weniger gescholten als bedauert werden. Das wirklich Schreckliche an der Geldsucht ist jedoch die Habsucht, das Raffen und Geizen. Es ist schrecklich, weil die Tresorwand des Geizes den Reichen vom Bedürftigen scheidet. Die Schande des Geldsüchtigen ist nicht seine Sucht. Die ist menschlich, schwach, verzeihlich, bedauernswert. Die Schande des Geldsüchtigen ist seine Verantwortungslosigkeit. Die ist unmenschlich. Jeder Cent, den der Geldsüchtige sinnlos hortet, gehört denen, die ihn sinnvoll verwenden könnten.

Viel Geld zu haben bedeutet, viel Verantwortung zu haben. Das ist nichts Schlimmes, sondern etwas sehr Schönes, denn es ist die Verantwortung des vorhandenen Potenzials, den Bedürftigen zu dienen. Nicht nur den Armen und Ärmsten, wenn auch ihnen vor allem, sondern allen, die Geld brauchen, um etwas Sinnvolles verwirklichen zu können.

Wie anders sähe die Welt aus, wenn die Reichen ihre Habsucht überwänden. Und wie gut bekäme das der Demokratie. Sie ist schwach und krank. Vielleicht wäre das sogar ihre wirksamste Medizin.

Über Hans-Arved Willberg

Dr. phil. Hans-Arved Willberg Trainer - Dozent - Publizist Jhg. 1955, vh., 2 Söhne, wohnt in Etzenrot bei Karlsruhe Inhaber Beratungsfirma Life Consult und Leiter Institut für Seelsorgeausbildung (ISA)
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