Wort zur Woche

Kantate

Wochenspruch: „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ Psalm 98,1

Leitmotiv: Die singende Gemeinde

Was ist das: „ein neues Lied“? Was ist das: „neu“? Neu schien es zu sein, den Gottesdiensten Lobpreiszeiten einzufügen. Was in charismatischen Kreisen begann, hat sich in alle möglichen Richtungen ausgebreitet. Mit „neuem“ Liedgut, „neuem“ Stil. Gemeindeerneuernd.

Das Paradigma der Lobpreiszeiten scheint mir den Popkonzerten entnommen zu sein. Da spielt eine Band. Sie macht Stimmung. Sie bewegt etwas im Auditorium, sucht den Dialog. Sie will Ergriffenheit erzeugen. Sie beschwört den Zauber der Einheit. Ziel ist ein Hochgefühl. Ekstase ist erwünscht. Je mehr, desto besser.  Hinreißende und mitreißende Performance. Sorgen vergessen im Bad der Musik und der Menge Gleichtickender, in der Nähe angehimmelter Stars. Ansatzweise nur findet sich das alles im bescheidenen Aneinanderfügen von sentimentalen Popsongs des durchschnittlichen Gottesdienstes, ausgeprägt in der perfekten Bühnenshow einiger charismatischer Protagonisten.

Ich kenne das alles zur Genüge. Ich gehöre zur Flower-Power-Generation der 60er und 70er Jahre. Das war schon eine neue Musik, weil noch nie dagewesen. Interessanterweise übrigens mit starken Wurzeln in der seinerzeit ebenso neuen afroamerikanischen Spiritual- und Gospelmusik. Die farbigen Amerikaner hatten dem Herrn ihr neues Lied gesungen. Das stand am Anfang der neuen Epoche unserer modernen Popularmusik. Aber der Anfang ist schon eine Weile her und die atemberaubende Neuerfindung elektrisch verstärkter Instrumente hat längst ihre originäre Faszination verloren. Die Musikindustrie hat durch die Mittel der Massenfertigung einen nicht enden wollenden Schwall von Neuproduktionen erzeugt, deren gemeinsames Charakteristikum darin besteht, nicht wirklich neu zu sein, sondern nur neu aufbereitet, um wenigstens neu aufzufallen. Was aus der Masse herausragt, muss noch auffälliger sein als das Bisherige. Das wird vor allem durch noch höheren Aufwand erreicht, finanziell und technisch.

So großartig die Performance auch sein mag, so gewöhnlich ist sie auch. Ich bin sie allzu gewöhnt.  Mir ist nach Neuerem. Die Dominanz des Pop-Paradigmas in christlichen Kreisen scheint mir mehr assimilierende Reaktion auf den Mainstream zu sein als herausfordernd neue musikalische Antwort auf die Wunder Gottes. Wunder sind Außergewöhnlichkeiten, mithin auch Anstößigkeiten. Denkanstöße. Wunder kommen quer. Wie mag sich Musik in der Kirche anhören, die vom Wunderbaren und Wundersamen der Wege Gottes durchtönt ist? Bekanntlich sind die Wege Gottes weniger Mainstream als schmaler Pfad. Und in der Regel bedürfen die Wegweisungen Gottes des aufmerksamen Hinhörens.

Die neuen Wege Gottes sind von jeher gewöhnungsbedürftig, und immer, wenn sie ihre Außergewöhnlichkeit verlieren, erneuern sie nicht mehr. Es bleiben bequeme Bahnen der Tradition, mag sie sich auch noch so fortschrittlich geben – Fortschrittstraditionalismus: Alles bleibt beim Alten, indem immer Neues produziert wird. Fließbandtraditionalismus. Wahre neue Wunder geschehen dort nicht mehr. Damit es nicht langweilig wird, werden darum alte Wunder reinszeniert. Oder das, was man dafür hält.

Wahre Wunder erregen unser Aufsehen, indem wir den Blick wieder nach oben richten. Indem uns wieder bewusst wird, dass es Höheres gibt als Masse. Wenn die Masse die Norm gibt, ist das Höhere unpopulär.

Es hat mir gefallen, was Ian Anderson, in die Jahre gekommenes legendäres Haupt der Kultband Jethro Tull, die in den 60er Jahren zu den Innovatoren des Electric Blues gehörte,  tat und sagte, als er im Schwetzinger Schloss, einem außergewöhnlichen Zentrum musikalischen Fortschritts in Spätbarock und früher Klassik,  im unzähligen Konzert zum unzähligsten Mal den Hit „Bourrée“ von einer ihrer ersten Platten ansagte – die verjazzende Rezeption eines Stücks für Laute von J.S. Bach. Ian Anderson streckte Arm und Zeigefinger zum Himmel hinauf und erwies dem großen Meister bescheiden seine Reverenz.

In der Tat: So gut es mir gefallen hat bei Jethro Tull, es gibt Höheres. Andersons Hinweis war angemessen: Es gibt wahrlich Größeres und Besseres als Jethro Tull, und er Unterschied ist durchaus himmelweit. Es gibt Bewundernswertes. Horizonterweiterung. Musik, die neu das Wundern lehrt. In der sich etwas spiegelt vom Glanz göttlicher Majestät, ihres Schreckens und ihrer Schönheit. Musik, die nicht nur mitreißt, sondern die auch mitnimmt.

Hiob fand aus der tiefsten Lebenskrise neu zu sich selbst und zu Gott, als der Wettersturm sein Aufsehen erregte. Er hörte die Stimme Gottes heraus. Er blickte auf. Er sah die Welt mit neuen Augen. Und neu wandte er sich ihr zu, neu dem Leben, derselbe Hiob, der den Tag seiner Geburt verflucht hatte. Das Hiobswunder. Davon singt das neue Lied. Dahin nimmt es mit.

Hans-Arved Willberg

Über Hans-Arved Willberg

Dr. phil. Hans-Arved Willberg Trainer - Dozent - Publizist Jhg. 1955, vh., 2 Söhne, wohnt in Etzenrot bei Karlsruhe Inhaber Beratungsfirma Life Consult und Leiter Institut für Seelsorgeausbildung (ISA)
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